Jäger gegen Blei – „Ein Wechsel ist überall möglich“

2021-12-07 01:51:59 By : Mr. Mark Yang

Empörung, Kopfschütteln und Rätselraten: So lassen sich die Reaktionen von Naturschützern und ökologisch orientierten Jägern auf die Blockade eines europaweiten Verbots von Bleimunition für die Jagd in Feuchtgebieten durch Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner zusammenfassen. Empörung, weil die Blockade die Gefahr birgt, dass jedes Jahr eine weitere Million Wasservögel qualvoll an den Bleischrotresten in den Gewässern sterben. Kopfschütteln, weil das Klöckner-Ministerium seinen Widerstand gegen ein Verbot mit wissenschaftlich als überholt geltenden Thesen begründet. Und schließlich gab es Vermutungen über die wahren Motive der Blockade.

Zur Erinnerung: Ein europaweites Bleiverbot für die Jagd in Feuchtgebieten ist vergangene Woche gescheitert, weil Deutschland sich auf Druck des Klöckner-Ministeriums der Stimme im zuständigen EU-Ausschuss enthalten musste. Alle Hintergrundinformationen hier. Unser Kommentar zum Thema hier.

Was sagen ökologisch orientierte Jäger zu den Argumenten des Landwirtschaftsministeriums und wie schwierig ist der Umstieg auf die bleifreie Jagd? Diese und weitere Fragen diskutierten wir im Gespräch mit Elisabeth Emmert, der Vorsitzenden des Ökologischen Jagdverbandes (ÖJV). Der Biologe steht seit 1992 an der Spitze der ÖJV, die rund 3.000 Jäger vertritt und sich für mehr Natur- und Tierschutz, auch in der Jagd, einsetzt. Der Verein ist Mitglied im Deutschen Naturschutzring, dem Dachverband der Natur-, Umwelt- und Tierschutzverbände in Deutschland. Emmert ist Mitglied des Vorstandes des DNR.

Thomas Krumenacker: Frau Klöckner und ihr Ministerium begründen die Blockade des EU-Vorstoßes für ein europaweites Verbot von Bleimunition, auch mit Tierschutz: Bleifreie Munition hat eine geringere Tötungswirkung und erschwert damit die Jagd invasiv - dh schädlich für das Ökosystem - Arten wie Waschbären und Nilgans . Denn diese würden nur mit bleifreier Munition verletzt und dann über einen langen Zeitraum qualvoll zugrunde gehen. Sind Jäger, die bleifreies Jagen, grausamer?

Elisabeth Emmert: Definitiv nicht. Die Behauptung, dass bleifreie Munition im Allgemeinen weniger wirksam ist, stimmt einfach nicht. Um eine vergleichbare Abtötungswirkung zu erzielen, müssen für die größeren Arten nur geringfügig größere Kaliber und geeignetes Material gewählt werden. Vielerorts werden größere Gänse als die Nilgans problemlos mit bleifreier Munition erlegt. Und was die Jagd auf invasive Arten angeht: Der Ansatz, Waschbären, Nilgans, Kanadagans oder Marderhunde jagdlich in Schach zu halten, ist unserer Meinung nach illusorisch und – von wenigen Einzelfällen abgesehen – auch nicht sinnvoll .

Aus Sicht des Praktikers ist also nichts über das Argument zu sagen, dass bleifreie Munition weniger effektiv ist?

Seitdem vor etwa 15 Jahren bekannt wurde, dass viele Seeadler an verbleiter Gewehrmunition sterben, wurden zahlreiche gründliche Ermittlungen eingeleitet. Sie alle beweisen, dass bleifreie Munition bei sachgemäßer Handhabung die gleiche Tötungswirkung hat wie bleihaltige Munition. Es gibt vielfach bewährte Alternativen, die mittlerweile auch von Herstellern und Händlern beworben werden. Die angeblich geringere Tötungswirkung ist als Argument komplett zusammengebrochen. Das ist heute kein ernst zu nehmendes Argument mehr und die Praxis zeigt es täglich.

In Deutschland ist die Jagd mit Blei im und am Wasser bereits in fast allen Bundesländern verboten; in Dänemark und den Niederlanden wird seit langem ohne Blei gejagt. Wie sind die Erfahrungen in anderen Lebensräumen?

Viele Landes- und Bundesforstverwaltungen verwenden mittlerweile nur noch bleifreie Geschossmunition, auch immer mehr Jäger wechseln freiwillig. Ich schätze, mittlerweile ist etwa jeder vierte Trieb bleifrei. Alle haben gute Erfahrungen gemacht. Der Trend geht in die richtige Richtung, wenn auch langsam. Ohne den ständigen Widerstand, insbesondere der Funktionäre in den Jagdverbänden, könnte es zweifellos schneller gehen.

Ich und viele andere innerhalb und außerhalb der ÖJV haben nur positive Erfahrungen gemacht. Ich kenne niemanden, der wieder auf Bleimunition umgestiegen ist. Übrigens nicht nur in der ÖJV. Natürlich gibt es auch in den Landesjagdverbänden und im (größten deutschen Jagdverband) DJV vernünftige Leute. Das Problem sind oft die Beamten.

Melden Sie sich hier an - dann erhalten Sie jeden Mittwoch die neuen Artikel rund um Natur und Vogelwelt von den Flugbegleiter-Journalisten.

Ist Bleimunition Ihrer Meinung nach in der Jagd, in Feuchtgebieten sowie im Wald oder auf dem Feld völlig entbehrlich?

Ja auf jeden Fall. Dies gilt sowohl für Gewehrmunition als auch für Schrot. Es gibt immer spezielle Probleme, die eine Anpassung erfordern, wie zum Beispiel das Rückprallverhalten von Stahlschrot. Dann muss man sich entsprechend anpassen und dann gibt es kein Problem. Angesichts der Gefährlichkeit von Blei sind dies leicht zu verteidigende Verhaltensänderungen, die einfach erforderlich sind.

Wir sind sowieso zurückhaltend, Wasservögel in Feuchtgebieten zu jagen. Die dadurch verursachten Störungen, die Fehlschüsse und auch die nicht tödlichen Verletzungen von Enten und Gänsen, beispielsweise durch Beschuss mit Schrotrollen, werden stark unterschätzt. Die Jagd in Gewässern ist ein sehr sensibles Thema, mit dem oft zu unsensibel umgegangen wird. Wir müssen erkennen, dass wir nicht unbedingt Wasservögel jagen müssen. Denn anders als zum Beispiel bei Rehen im Wald oder Wildschweinen auf den Feldern muss hier nicht gejagt werden. Der Naturschutz muss daher immer Vorrang haben.

Es herrscht große Einigkeit: Wissenschaftler, die Europäische Chemikalienagentur, die EU-Kommission und einige Jäger – sie alle wollen ein Verbot von Blei in Munition und sehen genügend Alternativen. Wie erklären Sie sich, dass ein erheblicher Teil der Bundesregierung dennoch versucht, ein europaweites Bleiverbot zumindest hinauszuzögern?

Das kann ganz andere Gründe haben. In der Debatte um Blei in Büchsenmunition haben wir immer wieder die Erfahrung machen müssen, dass die Blockade vor allem auf die Industrie und insbesondere auf die deutsche Munitionsindustrie zurückzuführen war, die nicht rechtzeitig auf die Produktion bleifreier Munition umgestellt hat oder hatte es nicht einmal im Portfolio. Ausländische oder kleinere Hersteller, die seit Jahrzehnten bleifreie Produkte herstellen, durften natürlich keine Marktanteile abgeben. Und jede Verzögerung hat der Branche und den oft eng damit verbundenen Landesjagdverbänden in die Hände gespielt. Das war der Hintergrund für die Verzögerung bei den vorherigen Verboten und das könnte jetzt wieder der Fall sein.

Die vermeintlich schlechtere Eignung bleifreier Munition ist also nur ein vorgeschobenes Argument?

So sieht es aus. Anders lässt sich der Widerstand des Bundeslandwirtschaftsministeriums nicht erklären. Denn – wie Sie sagen – der Einsatz von Bleischrot in Feuchtgebieten und auf Gewässern ist in fast allen Bundesländern bereits verboten. In diesem Land würde sich also nichts ändern. Die Blockade einer europaweiten Regulierung ist mit rein technischen Argumenten völlig unverständlich.

Trotz des von Ihnen beschriebenen Trends zu bleifreier Munition schießen die meisten Jäger in Deutschland noch immer mit Blei. Warum ist das so?

Es braucht einige Anpassungen und es kann manchmal teurer sein. Aber auch bei der Jagd mit Bleimunition gibt es eine große Bandbreite. Hier wie dort gibt es teurere, seltenere Kaliber und häufige, billigere Kaliber. Es gibt noch eine gewisse Propaganda in den Landesjagdverbänden, die den Wandel behindert. Unverständlicherweise werden in der Jagdpresse manchmal dieselben Vorbehalte gegen bleifreie Munition geschürt, über die wir hier diskutieren.

Wie bewerten Sie das Argument, dass die Umstellung auf bleifreie Munition den Kampf gegen invasive Arten schwächt?

Das Argument, dass die Jagd das Problem invasiver Arten lösen und ihre Ausbreitung verhindern kann, ist ein Pseudoargument. Einheimische Tierarten sind meist gefährdet, weil ihr Lebensraum zerstört wird, nicht weil fremde Feinde „aus dem Ruder laufen“. Dies ist eine Kurzschlussökologie, die wir nicht verfolgen. Allenfalls in ganz besonderen Fällen, in denen es um das Überleben der letzten Reliktpopulationen geht, könnte die Jagd möglicherweise Wirkung zeigen. Aber das könnte natürlich auch mit bleifreier Munition erfolgen.

Haben Sie Ihre Karriere als Jäger eigentlich mit Blei begonnen?

1985 gab es natürlich keine Diskussion. Der Beweis, dass Blei für Menschen und Seeadler gefährlich ist, kam später. Wir wissen jetzt viel mehr. Übrigens kann auch das mit Bleimunition geschossene Wild für Menschen, die viel Wild essen, und für bestimmte Risikogruppen zum Problem werden. Wissentlich und willentlich ein hochgiftiges Schwermetall in ein Lebensmittel zu injizieren - und ein erschossenes Tier wird zu einem solchen Lebensmittel - ist nicht verantwortlich. Und seit 15 Jahren wissen wir auch um die Probleme der Greifvögel. Und wenn man so etwas weiß, muss man nur die Schlüsse ziehen und auf eine andere Munition umsteigen.

Thomas Krumenacker ist Journalist und Naturfotograf in Berlin. Neben den RiffReportern schreibt er für überregionale Zeitungen und Fachzeitschriften zu wissenschaftlichen Themen.

Sie wollen guten Journalismus zu Ornithologie, Biodiversität, Naturschutz, Umweltpolitik? Willkommen bei den "Flugbegleitern". Wir sind neun Journalisten, die sich auskennen und für Sie recherchieren. Die UN-Dekade für biologische Vielfalt hat uns dafür ausgezeichnet. Unsere Artikel sind jeden Mittwoch als Einzelkauf, als Flugbegleiter-Abo und im Rahmen der RiffReporter-Flatrate erhältlich. Und wir haben ein tolles Buch für Sie!

Verantwortlich im Sinne des Pressegesetzes