Rohstoff- und Energiepreise fordern den Mittelstand besonders heraus

2022-05-29 04:14:15 By : Mr. Ping Huang

Die Siempelkamp-Geschäftsführer Dirk Howe und Georg Geier

Der Mittelstand ist angesichts der dramatischen Anstiege von Rohstoff- und Energiepreisen besonders herausgefordert – er verfügt nicht über Handelsabteilungen. Dirk Howe und Georg Geier, die die Krefelder Gießerei Siempelkamp führen, berichten von ihrer neuen Normalität.

Wenn jemand viel Eisen und Energie braucht, dann die mittelständische Gießerei Siempelkamp. Sie stellt riesige Strukturbauteile für Schiffsmotoren, Pressen für die Elektromobilität und Mühlen für die Erzeugung von Kupfer, Nickel und Gold in Handarbeit her. Die Geschäftsführer Dirk Howe und Georg Geier berichten, wie sie die Arbeit an ihren Öfen trotz der Verwerfungen der Märkte durch den Krieg in der Ukraine am Laufen halten.

WirtschaftsWoche: Wie erleben Sie die Verwerfungen auf den Rohstoff- und Energiemärkten in Ihrem Unternehmen? Dirk Howe: Wir sind systemrelevant für viele Bereiche der Realindustrie. Unsere Strukturbauteile werden dringend gebraucht, da gibt es bei den Aufträgen keinen Abriss. Internationale Kunden stehen zu uns – auch in diesen schwierigen Zeiten. Wir fahren zu 150 Prozent auf Krisenmodus, arbeiten seit Monaten schon täglich 14 Stunden und mehr. Das ist ein Ausnahmezustand, bei dem man an seine physischen Grenzen kommt.

Was ist am stressigsten? Georg Geier: Oft gibt es beim Materialeinkauf nur ein Zeitfenster von einer Stunde, in der man eine sehr weitreichende Entscheidung treffen muss, zu der es dann am nächsten Tag schon neue Informationen gibt. Unser Schmelzprozess ist vom Strompreis abhängig. Was der in Zukunft kosten wird, weiß ich nicht. Es bleibt uns nur übrig, immer wieder mit unseren Kunden zu sprechen und herauszufinden, wer bei den Preiserhöhungen noch mitkommt. Es gibt aktuell einen Hyperbedarf an unseren Produkten. Weil wir nicht nach Russland liefern, merken wir von der Krise in der Ukraine in der Nachfrage bisher noch nichts. Lesen Sie hier alle aktuellen Nachrichten zum Ukraine-Konflikt

Das ist vielleicht die Ruhe vor dem Sturm. Howe: Die aktuelle Lage darf man nicht unterschätzen. Was jetzt am Energie- und Rohstoffmarkt passiert, hat erhebliche Auswirkungen auf unsere Gesellschaft und die deutsche Wirtschaft. Es wird einschneidende soziale Konsequenzen geben. Wenn ganze Unternehmen ihre Produktion abschalten müssten, würde es erneut Kurzarbeit geben, und das so kurz nach Corona. Das wäre eine extreme Herausforderung für die Gesellschaft.

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Halten Sie die aktuelle Krise für schlimmer als die Weltfinanzkrise 2008? Howe: Für uns ist diese Situation mit 2008 nicht vergleichbar. Das war eine Weltfinanzkrise nach bekanntem Muster. Zwar hatten die Verwerfungen in der Finanzwelt durch Liquiditätsengpässe Rückwirkungen auf die reale Wirtschaft. Aber die funktionierte damals noch. Jetzt dagegen knirscht es in der realen Wirtschaft. Geier: Heute machen viele Faktoren in der physischen Welt echte Probleme. Viel baut sich schon seit Monaten auf: Die Energieverteuerung, die Lieferkettenprobleme, die Frachtraten, die Chipkrise. Jetzt stößt die Kriegswirtschaft mit dem Sanktionsregime auf ein bereits fragiles, von der Pandemie geschwächtes System.

Alle Vermögenswerte der russischen Zentralbank in der EU sind eingefroren, um zu unterbinden, dass damit der Krieg von Kremlchef Wladimir Putin finanziert wird. Transaktionen mit dem Finanzinstitut sind verboten. Nach EU-Angaben wird zusammen mit anderen G7-Staaten rund die Hälfte der Finanzreserven der russischen Zentralbank eingefroren. Damit soll verhindert werden, dass Moskau die Reserven zur Stützung des Rubel-Wechselkurses nutzt.

Die westlichen Verbündeten haben einen Ausschluss von russischen Banken aus dem Finanz-Kommunikationssystem Swift beschlossen, um diese von den internationalen Finanzströmen abzuklemmen. Am 9. März kappte die EU auch für drei belarussische Banken den Zugang zu Swift. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zufolge wird auch sichergestellt, dass Sanktionen nicht durch die Verwendung von sogenannten Kryptowerten umgangen werden können. Das sind zum Beispiel virtuelle Währungen wie der Bitcoin.

Zudem dürfen mit etlichen Geschäftsbanken keine Geschäfte mehr gemacht werden, ihre Vermögen werden eingefroren. Auch gegen den Handel mit russischen Staatsanleihen wird entschieden vorgegangen.

Auch die USA haben schwerwiegende Sanktionen gegen die russische Zentralbank in Kraft gesetzt. US-Bürgern und Institutionen sind Transaktionen mit der Zentralbank damit verboten, zudem kann die Notenbank damit weltweit keine Geschäfte in US-Dollar mehr durchführen, wie ein ranghoher Vertreter des Weißen Hauses am Montag sagte. Zusammen mit den Sanktionen der Verbündeten sei der Großteil der russischen Devisenreserven im Wert von rund 630 Milliarden US-Dollar nun de facto blockiert und könne von Russland nicht dafür genutzt werden, die wirtschaftlichen Folgen des Kriegs aufzufangen, sagte er.

Auch der russische Staatsfonds und das Finanzministerium würden mit Sanktionen belegt, erklärte der Beamte. „Unsere Strategie ist es, einfach ausgedrückt, dafür zu sorgen, dass die russische Wirtschaft sich zurückentwickelt – so lange wie Präsident (Wladimir) Putin sich entscheidet, die Invasion in die Ukraine voranzutreiben“, sagte er. Die Sanktionen gegen die Zentralbank seien die bedeutendste Strafmaßnahme der US-Regierung. Ausnahmen gebe es nur für bestimmte Transaktionen, die mit dem Öl- und Gasmarkt zusammenhingen, betonte der Beamte. „Kein Staat ist vor Sanktionen gefeit“, betonte er.

Die beiden weltgrößten Kreditkartenanbieter, Visa und Mastercard, setzten die Geschäfte mit Russland aus. Visa erklärte, man werde alle Transaktionen in den kommenden Tagen einstellen. Danach würden in Russland ausgestellte Karten nicht mehr im Ausland funktionieren. Mastercard äußerte sich ähnlich. Beide Unternehmen hatten bereits vorher keine Transaktionen mehr für russische Banken abgewickelt, die von internationalen Sanktionen betroffen sind.

Die EU verbietet den Verkauf, die Lieferung, die Weitergabe oder die Ausfuhr bestimmter Güter und Technologien für die Ölveredelung. Auch Dienstleistungen in diesem Bereich werden eingeschränkt. Erklärtes Ziel ist es, Russland Möglichkeiten zur notwendigen Modernisierung seiner Ölraffinerien zu nehmen. Die USA wollen zudem den Import russischen Öls stoppen.

Die EU hat ein Ausfuhrverbot für Güter, Technologien und Dienstleistungen für die Luft- und Raumfahrtindustrie erlassen. „Dieses Verbot des Verkaufs aller Flugzeuge, Ersatzteile und Ausrüstungen an russische Luftfahrtunternehmen wird einen der Schlüsselsektoren der russischen Wirtschaft und die Konnektivität des Landes beeinträchtigen“, heißt es. Drei Viertel der derzeitigen russischen Verkehrsflugzeugflotte seien in der EU, den USA und Kanada gebaut worden.

Der Luftraum über allen EU-Staaten ist für russische Flugzeuge komplett gesperrt. Russlands staatliche Airline Aeroflot und russische Privatflugzeuge dürfen auch in Großbritannien nicht landen. Russischen Schiffen droht zudem ein Einlaufverbot in Häfen in der EU, ein Beschluss hierzu steht jedoch noch aus. In Großbritannien ist ein solches Verbot bereits in Kraft.

Bestimmte Güter und Technologien dürfen nicht mehr ohne weiteres aus der EU und anderen westlichen Ländern nach Russland gebracht werden. Dazu zählen unter anderem Mikroprozessoren oder Ausrüstung, die für die Produktion von Mikrochips benötigt werden. Auch die USA verbieten den Export von Hightech-Produkten nach Russland.

Die Bundesregierung hat die so genannten Hermes-Bürgschaften ausgesetzt und damit deutschen Unternehmen Geschäfte mit Russland erschwert – ganz unabhängig davon, ob es um sanktionierte Güter oder Branchen geht oder nicht.

Die russischen Staatsmedien RT und Sputnik werden in der EU verboten, um die „giftige und schädliche Desinformationen in Europa“ zu untersagen, wie EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erläuterte.

Die EU hat Sanktionen gegen Oligarchen aus dem Umfeld von Russlands Präsident Wladimir Putin in Kraft gesetzt. Damit werden unter anderem ihre Vermögenswerte in der EU eingefroren, wie am Montagabend aus einer Veröffentlichung im EU-Amtsblatt hervorgeht. Zudem wird ihre Reisefreiheit eingeschränkt. Neben Oligarchen sind auch Menschen aus Putins engerem Kreis wie Kremlsprecher Dmitri Peskow von den Massnahmen betroffen. Auch der Cellist und Putin-Vertraute Sergej Roldugin wird genannt. Roldugins Name tauchte bereits früher in der Berichterstattung zu den sogenannten Panama Papers auf. Die Enthüllungen ordneten ihm mehrere Offshore-Firmen zu.

Auf der Sanktionsliste aufgeführt werden zudem der Oligarch und Tui-Grossaktionär Alexej Mordaschow, der enge Putin-Vertraute und Chef des Staatskonzerns Rosneft, Igor Setschin, sowie der Milliardär und Chef der Alfa-Bank, Michail Fridman. Ausserdem genannt werden die Geschäftsleute Alischer Usmanow, Pjotr Aven und Nikolai Tokarew.

Russlands Oligarchen konnten sich bisher darauf verlassen, dass sie und ihr Geld in Europas Metropolen willkommen sind. Nach Putins Angriff auf die Ukraine sind sie jedoch verstärkt in den Blick westlicher Regierungen geraten.

Diplomaten und Geschäftsleute verlieren zudem ihren privilegierten Zugang zur Europäischen Union.

Das US-Präsidialamt kündigt Sanktionen und Visa-Beschränkungen gegen 19 russische Oligarchen, ihre Familien und Verbündete an. Im Kampf gegen Desinformation seien auch sieben russische Einrichtungen sowie 26 Personen, die dort arbeiten, mit Strafmaßnahmen belegt worden, heißt es weiter.

Der Weltsport hat die Reihen noch enger gegen Russland geschlossen. Weitere Weltverbände haben sich dem Aufruf des Internationalen Olympischen Komitees angeschlossen, Russland und Belarus als Sanktion für den Krieg gegen die Ukraine auszuschließen. Dazu gehören unter anderem die Weltverbände im Tennis, Radsport und Ski, die internationale Föderationen für Eiskunst- und Eisschnelllauf, Eishockey sowie Handball- und Volleyballverbände.

Das Internationale Paralympische Komitee (IPC) wird am Mittwoch, zwei Tage vor der Eröffnung der Winter-Paralympics in Peking, über einen Ausschluss von Russland und Belarus entscheiden. Erst am 2. März sei die IPC-Exekutive vollständig versammelt, teilte der Dachverband dem Branchendienst „insidethegames.biz“ mit. Die ukrainischen Athleten werden trotz Krieges wohl rechtzeitig in Peking eintreffen. Das Team mit 20 Athleten sei auf dem Weg in die chinesische Hauptstadt und könne an diesem Mittwoch ankommen, sagte ein IPC-Sprecher.

Am Dienstagabend gaben der Tennis-Weltverband ITF sowie die Männer-Organisation ATP und die Frauen-Organisation in einer gemeinsamen Stellungnahme bekannt, dass die Tennis-Verbände von Russland und Belarus suspendiert sind. Die Spieler dürfen allerdings weiter bei der Tour oder bei den Grand Slams antreten, sie werden jedoch nicht mehr unter russischer Flagge geführt. So muss auch der neue Weltranglistenerste Daniil Medwedew vorerst keinen Ausschluss befürchten. Ähnlich verfährt der Radsport-Weltverband.

Auch der Leichtathletik-Weltverband schloss sich den Sanktionen an. „Alle Athleten, Betreuer und Offiziellen aus Russland und Belarus werden mit sofortiger Wirkung von allen Veranstaltungen der Leichtathletik-Weltserie ausgeschlossen“, hieß es in einer Mitteilung von World Athletics am Dienstag. Dazu gehören die Hallen-WM im März in Belgrad und die Freiluft-WM im Juli in Eugene/USA sowie die Mannschafts-WM im Gehen in Muscat, die am Freitag in Oman beginnt.

Die Schwimm-Funktionärskollegen der Fina verbannen russische und belarussische Sportler nicht und lassen sie weiter als neutrale Athleten bei internationalen Wettkämpfen starten. Die Teilnahme unter dem Namen Russland oder Belarus sei nicht mehr erlaubt. Russlands Präsident Wladimir Putin wurde aber der Fina-Orden aberkannt.

Russland darf nicht am Eurovision Song Contest (ESC) 2022 in Turin teilnehmen. Zudem hat das Royal Opera House in London die Planungen zu Gastauftritten des weltberühmten Moskauer Bolschoi-Theaters gestoppt. Die deutsche Stiftung Preußischer Kulturbesitz legte die Zusammenarbeit mit russischen Instituten zunächst auf Eis. Und auch der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) schränkt den wissenschaftlichen Austausch mit Russland ein.

Die Energiepreise sind dramatisch gestiegen. Howe: Aktuell machen uns die Rohstoffpreise sogar noch mehr zu schaffen. Wir brauchen die Metalle für unseren Geschäftsbetrieb. Der Markt ist seit drei bis vier Tagen schlichtweg außer Kontrolle. Vergangene Woche kostete die Tonne Nickel noch 25.000 Euro – das war bereits doppelt so viel wie üblich. Gestern erreichte der Preis 101.000 Euro, dann stoppte die LME den Handel und strich alle heutigen Orders – es gab Unregelmäßigkeiten bei einem chinesischen Großunternehmen.

Wie kann es in so kurzer Zeit zu so großen Preisanstiegen kommen? Howe: Das Problem ist, dass sowohl die Ukraine als auch Russland große Produzenten von Roheisen, Stahl, Eisen und Erzen sind und von dort keine Lieferungen durch die Ukraine kommen. Viele Unternehmen in Polen, oder Tschechien, die normalerweise über die osteuropäische Route kaufen, weichen jetzt auf die westliche Handelsrouten über Nordamerika oder Afrika aus. Entsprechend der höheren Nachfrage dort steigen die Preise. Roheisen zum Beispiel stieg um das zweieinhalbfache von 400 auf 1000 Euro. Auch die Preise für Stahlschrott ziehen stark an, weil nichts aus Osteuropa ankommt. Alles hat einen Dominoeffekt: Weil Kabelbäume für die Autoproduktion fehlen, halten Autohersteller ihre Werke an. Dadurch fehlen die Stanzabfälle und der Schrott, der bei deren Produktion abfällt. Unsere größte Sorge ist: Wie lange dauert das an?

Die Entwicklung der Strompreise besorgt Sie schon länger. Geier: Auch da gibt es irre Verwerfungen. Der Tageshöchststand heute an der Strombörse war 70 Cent pro Kilowattstunde. Wohin geht das noch – auf einen Euro pro Kilowattstunde? Die regulären Strompreise sind vier bis fünf Cent pro Kilowattstunde an der Börse, nach Aufschlägen ist das ein Verbraucherpreis von 25 bis 30 Cent. Jetzt aber kostet der Strom an der Börse in der Spitze schon 70 Cent. Das geht sich nicht aus. Solide Stadtwerke haben ihre Preise auf Sicht von einem bis drei Jahren abgesichert. Wer als Endkunde aber einen neuen Tarif abschließen muss, für den wird ein Euro pro Kilowattstunde das neue Normal sein. Da braucht die Politik neue Wege und neue Tools, die sie in Zusammenarbeit mit Branchenexperten entwickeln muss.

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