Stahlhersteller setzen auf Recycling: Ist Schrott das neue Gold?

2022-07-23 01:41:17 By : Ms. Michelle Yu

Stahlhändler Klöckner will grüner werden – und setzt auf Recyclingstoffe. Das treibt die Preise für Schrott. Die Nachfrage nach Abfallprodukten dürfte weiter steigen – auch Chinas Stahlhersteller richten sich neu aus.

Die Stahlindustrie zählt zu den größten Klimaschädigern des Planeten. Sieben bis zehn Prozent aller CO2-Ausstöße gehen zurück auf die energieintensive Produktion in den gigantischen Feueröfen. Das fällt auch den Händlern und Kunden auf. Die Branche will sich wandeln – und sucht ihr Heil im Recycling.

„Die grüne Transformation ist unsere größte Herausforderung“, sagt Guido Kerkhoff, Vorstandvorsitzender des Stahlhändlers Klöckner, im WirtschaftsWoche-Podcast „Chefgespräch“ mit Beat Balzli. Um die zu erreichen, setzt das Unternehmen auf Stahlerzeuger, die möglichst klimafreundlich produzieren. Die Lieferanten nutzen nachhaltige Energieträger wie Wasserstoff oder grünem Gas. Aber vor allem recyceln sie alten Stahl in Autos, Gebäuden und Elektrogeräten.

Und so wird der Sekundärrohstoff Schrott für Stahlproduzenten und Stahlhändler fast so wertvoll wie Gold. Weltweit erwerben die Branchenriesen reihenweise die Sortier- und Recyclinganlagen. Das Ziel: Den Zugriff auf die Schrotte erleichtern.

Ende Februar kaufte der englisch-luxemburgische Stahlproduzent ArcelorMittal einen Schrottspezialisten in Schottland, vor wenigen Wochen legte es mit der Metall-Sparte der Alba Gruppe nach. Knapp 700.000 Tonnen Stahl und andere Metalle hatten die drei Gesellschaften des Berliner Mutterkonzerns im vergangenen Jahr gehandelt. „Recyclingbetriebe und die Stahlindustrie stehen vor der gemeinsamen Aufgabe, klimaneutral Stahl herzustellen“, sagte Alba-Chef Eric Schweitzer nach dem Verkauf. Sowohl deutsche als auch ausländische Investoren hätten beim Unternehmen angeklopft. Auch andere legen nach. Kürzlich erwarb der Edelstahlhersteller Aperam den Spezialisten ELG, einer ehemaligen Tochter der Haniel-Gruppe. Der Aluminiumproduzent Speira war beim Recycler für Magnesiumschrotte Real Alloy fündig geworben.

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Nach dem Lieferkettenchaos und dem Krieg in der Ukraine, versuchen die Schrotthändler so viel zu horten, wie sie kriegen können. Im Mai lag der Preis für eine durchschnittliche Tonne Neuschrott der Sorte 2/8, zu der etwa Produktabfälle zählen, bei 503,70 Euro. Das ist mehr als doppelt so hoch wie vor zwei Jahren. Zwar haben sich mittlerweile die Bedenken um eine weltweite Knappheit verstreut, die Preise sind etwas gesunken, doch die Recyclingstoffe bleiben begehrt. „Der Boom ist vorbei“, lässt sich ein Schrotthändler in einem Fachblatt zitieren. Die Transformation in der Stahlindustrie habe aber gerade erst begonnen.

Auf zwei Wegen lässt sich Stahl grundsätzlich produzieren. Bei der klassischen Variante kochen Unternehmen in einem Hochofen Koks und Eisenerz zu Stahl. Nicht selten wird auch Schrott hinzugeschüttet, Erz allerdings nicht vollständig ersetzt. Als Nebenprodukt der energieintensiven Verfeuerung entsteht Kohlenstoffdioxid (CO2). Pro Tonne Stahl sind das rund 1,8 Tonnen CO2. Bei der Schrottroute oder dem Elektrostahlverfahren hingegen wird Stahlschrott in einem elektrischen Lichtbogenofen direkt zu Rohstahl geschmolzen. Auch hier entweicht das Klimagas in die Atmosphäre, allerdings ist die Menge fünfmal geringer.

Rund 40 Millionen Tonnen Rohstahl wird in Deutschland jährlich erzeugt. 45 Prozent davon entsteht über die Schrottroute, so der Verband für Stahlrecycling BDSV. Die Quoten bleiben hierzulande seit Jahren nahezu unverändert, auch weil viele deutsche Produzenten vor den teuren Investitionen zurückschrecken. Neue Elektroöfen entstehen in der EU vor allem bei unseren Nachbarn in Italien oder Skandinavien, wo das Koks-Eisenerzverfahren historisch weniger bedeutend war.

Schneller wächst der Bedarf nach Schrott und neuen Anlagen nur in China, dem größten Stahlproduzenten der Welt. Mehr als die Hälfte aller Erzeugnisse kommen von dort. Die Forderungen nach einer klimaverträglichen Produktion vernehmen auch die asiatischen Bosse – und die Kommunistische Partei, die sich zum Ziel gesetzt hat, bis zum Jahr 2060 die Klimaneutralität zu erreichen. Der Anteil des chinesischen Stahls auf Basis von Schrotten ist seit 2017 um mehr als fünf Prozent gestiegen. Und auch wenn nahezu 90 Prozent der Stahlwerke immer noch in umweltschädlichen Hochöfen kochen, gehen die meisten Analysten davon aus, dass die chinesische Nachfrage nach Schrotten den Weltmarkt massiv beeinflussen wird. Laut dem Finanzdienstleister S&P Global soll sich der Schrottanteil bis in drei Jahren auf 15 bis 20 Prozent erhöhen – eine immense Steigerung.

Ohne riesige Importmengen an Schrott wird das kaum funktionieren. Stahlhändler Kerkhoff sieht Europa gut gerüstet. „Man muss sehen, wo welche Mengen Schrott vorhanden sind“, sagt der Klöckner-Chef, der früher für Thyssenkrupp gearbeitet hat und den Stahlhersteller kurzzeitig bis 2019 geleitet hat. In Europa oder USA, wo die Energie lange günstig war, seien die Schrottmengen verhältnismäßig größer als in Schwellenländern wie China.

Auf deutsche Exporte müssen viele asiatische Produzenten vorerst sowieso verzichten. Bislang sorgen hohe bürokratische Hürden sowohl von den Chinesen als auch Europäern, dass Händler ihre Materialien nicht so einfach zwischen Ländern verschieben können. Die EU, die ihrerseits mehr Schrotte in Länder wie die Türkei oder die USA exportiert als einführt, verordnet hohe Kriterien, wohin die begehrten Sekundärstoffe geliefert werden dürfen.

Wie aus dem Kreis der Beteiligten zu hören ist, wäre so manch ein Händler froh, den chinesischen Hunger nach Stahlschrott entgegenzukommen. Doch Stahlkonzerne wie ArcelorMittal oder Stahlhändler wie Klöckner sitzen mit ihrem grünen Anspruch bei der Politik bislang am längeren Hebel. Im weltweiten Kampf um Ressourcen ist Stahlschrott jetzt eine geostrategische Waffe. Hier hören Sie den vollständigen Podcast mit Guido Kerkhoff

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