„Frau Klöckner macht sich die Argumente der Munitionsindustrie zu eigen“

2021-11-17 12:39:45 By : Mr. Jacek Yang

Die EU-Kommission will die Jagd mit Bleimunition in Feuchtgebieten europaweit verbieten. Damit soll der qualvolle Tod von einer Million Wasservögeln pro Jahr beendet und der Eintrag von 5000 Tonnen des hochgiftigen Schwermetalls in die Umwelt verhindert werden. Doch das Verbot droht am Widerstand des Bundeslandwirtschaftsministeriums zu scheitern. Wir haben mit Ballistikexperte Carl Gremse darüber gesprochen, wie stichhaltig die Argumente des Ministeriums und der Ministerin Julia Klöckner aus Sicht der wissenschaftlichen Forschung sind.

Dr. Carl Gremse forschte am Lehrstuhl für Wildbiologie, Wildtiermanagement & Jagdbetrieb der Hochschule für Nachhaltige Entwicklung Eberswalde mit den Schwerpunkten Tötungswirkungen von Jagdgeschossen und Lebensmittelsicherheit von Wildbret; promovierte er zum Thema „Tierschutz in der Jagd“.

Bleimunitionsreste in europäischen Gewässern töten jedes Jahr mehr als eine Million Wasservögel einen qualvollen Tod – nach Schätzungen der Europäischen Chemikalienagentur ECHA. Dennoch führen Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner und ihr Ministerium den Tierschutz an, um ihre Blockade des Vorschlags der EU-Kommission für ein Bleiverbot der Jagd in Feuchtgebieten zu rechtfertigen. Ihre These: Bleifreie Munition wie Stahlschrot hat keine ausreichende Tötungswirkung; Größere Tiere, die von solchen Kugeln getroffen wurden, liefen Gefahr, langsam und schmerzhaft zu sterben.

Carl Gremse: Aus wissenschaftlicher Sicht gibt es dafür keinen Hinweis. Mit bleifreier Munition können Sie jedes Tier genauso sicher töten wie mit bleihaltiger Munition. Studien aus verschiedenen Ländern konnten keinen Zusammenhang zwischen dem Geschossmaterial und der tierschutzfreundlichen (bzw. nicht tierschutzfreundlichen) Tötungswirkung nachweisen. Ob eine Munition tierschutzgerecht ist oder nicht, hängt nicht von der Frage nach Stahl oder Blei ab, sondern von anderen Parametern.

Das Wichtigste ist das Wissen und Können der Jäger, die das Kaliber richtig auf die Wildart und die Entfernung abstimmen müssen. Schießt man eine Nilgans mit einer zu kleinen und zu kleinkalibrigen Flinte, verstößt dies immer gegen die Grundregeln des Tierschutzes, egal ob aus Blei oder Stahl.

Neuerdings wird auch argumentiert, dass die vermeintlich geringere Tötungswirkung bleifreier Munition die Bekämpfung invasiver Arten, also jener gebietsfremden Tiere, die eine schädliche Wirkung auf ein Ökosystem haben, erschwert.

Wie schon gesagt: Es gibt eine Vielzahl wissenschaftlicher Studien, die belegen, dass mit bleifreier Munition bei richtiger Anwendung auch größere und schwerere Arten problemlos bejagt werden können. Diese Frage wurde in den 1980er Jahren in Amerika und Kanada erforscht, bevor dort die Bleijagd auf Gänse in Feuchtgebieten verboten wurde. Es gab sogar eine Studie in Dänemark, die keine Unterschiede zwischen Blei- und Stahlschrot für die Hirschjagd ergab. Für die gegenteilige Behauptung, die seit Jahrzehnten von Herstellern von Bleimunition aufgestellt wird, gibt es jedoch keine wissenschaftliche Grundlage.

Vielleicht hilft uns hier ein Blick in das geltende Recht. In Deutschland, das mit seiner Enthaltung sehr wahrscheinlich ein europaweites Bleiverbot in Feuchtgebieten verhindern wird, jagt seit langem kaum noch ein Jäger mit Bleischrot. Denn in 14 von 16 Bundesländern verbieten Landesgesetze bereits die Verwendung von Blei für die Jagd in Gewässern.

Welche Konsequenzen hat dies für die Jagd auf Nilgänse und Waschbären, also die invasiven Arten, mit denen Klöckner sein Festhalten an Bleimunition begründet?

Auch Waschbären und Gänse werden dort geschossen. Und niemand wird die Jäger, die sie töten, einer grausamen Jagd aussetzen. Das würde der Deutsche Jagdverband sicherlich ablehnen. (Der größte deutsche Jagdverband lehnt das Bleiverbot ab, Kommentar Thomas Krumenacker) Noch einmal: Bei richtiger Anwendung ist bleifreie Munition bei der Jagd kein Problem, egal um welches Tier es geht. Es stellt sich vielmehr die Frage, warum Deutschland ein Interesse daran hat, dass Jäger in anderen Ländern weiterhin Bleischrot abfeuern.

Als aktiver Jäger würde ich grundsätzlich sagen: Wenn es darum geht, invasive Arten wie Marderhunde oder Waschbären intensiv zu jagen, zum Beispiel zum Schutz bodenbrütender Vögel, dann geht das mit einer Schusswaffe sowieso nicht Munition. Vielmehr müssen Fallen verwendet werden. Dies ist einer der Gründe, warum das Argument sehr weit hergeholt klingt.

Kann man mit bleifreier Munition auch größere Tierarten tierschutzgerecht jagen?

Nach allem, was wir aus der wissenschaftlichen Literatur und dem Austausch mit Partnern, die direkt zu diesen Themen forschen, wissen und nach allem, was ich in meiner eigenen Recherche zu Gewehrkugeln festgestellt habe, lautet die Antwort vorbehaltlos: Ja.

Dass wir schon so lange über eine Frage sprechen, die in anderen Ländern längst beantwortet ist, wirft übrigens ein deutliches Licht auf die einseitige Debatte hierzulande. Als Jäger sind wir die einzige soziale Gruppe, die das Privileg hat, Tiere ohne Betäubung töten zu können. Daraus entsteht Verantwortung und nicht das Privileg, Ökosysteme mit giftigen Schwermetallen zu zerstören.

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Minister Klöckner fordert dennoch „Raum für Innovation“ bei Jagdmunition. Fehlt sinnvolle Munition, brauchen wir innovative Neuentwicklungen?

Das ist wirklich ein Argument aus dem Köcher der Munitionsindustrie. Es versucht immer wieder, alle Produkte aufzunehmen, in denen noch Blei vorhanden ist, auch wenn dies ballistisch gar nicht notwendig ist. Das ist sinnlos und überflüssig, denn mit den verfügbaren bleifreien Alternativen lässt sich alles effektiv und tierschutzgerecht bejagen. Diese Debatte ist teilweise ein Spiel auf Zeit, um Bleiprodukte länger am Markt zu halten. Frau Klöckner macht ein Argument für sich, das aus der Munitionsindustrie kommen muss, denn nur dieses nützt.

Kommen wir zu Blei und menschlicher Gesundheit. Wie ernst ist Wild für die menschliche Gesundheit?

Die Europäische Agentur für Lebensmittelsicherheit EFSA hat vor vielen Jahren die Grenzwerte für Blei durch eine absolute Minimierungspflicht ersetzt, da es keinen Schwellenwert gibt, unterhalb dessen Blei unbedenklich ist. Das heißt, das Ziel muss es sein, den Bleigehalt in jedem Lebensmittel so weit wie möglich zu reduzieren. Fakt ist: Wildfleisch ist das am stärksten mit Blei belastete Lebensmittel. Jäger können dieser Belastung jedoch vorbeugen, indem sie auf andere Munition umsteigen.

Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner widersetzt sich einem europaweiten Verbot von Bleimunition in der Jagd mit fragwürdigen Argumenten. Ihre Blockade gegen das qualvolle Sterben von mehr als einer Million Wasservögeln begründet sie ausgerechnet mit dem Tierschutz. Was steckt hinter dem Versuch Ihres Ministeriums, das Bleiverbot auf der Zielgeraden zu verlangsamen und welchen Einfluss hat die Munitionsindustrie? Interne E-Mails eines leitenden Beamten belegen einen engen Kontakt.

Es wird immer argumentiert, dass Wasser oder Getreide hinsichtlich ihres Bleigehalts viel fragwürdiger sind ...

Dies sind die beiden Lebensmittel mit dem niedrigsten Bleigehalt. Sie machen nur den größten Teil unserer Bleiexposition aus, weil wir viel davon verbrauchen. Aber ohne Wasser können wir nicht auskommen. Und technisch haben wir dank hoher Standards den Bleigehalt dieser beiden Lebensmittel bereits minimiert. Wir müssen daher versuchen, jede zusätzliche Bleiexposition aus anderen Quellen um jeden Preis zu vermeiden. Wir Jäger hätten tatsächlich die Chance, für wunderbares Essen zu sorgen. "Besser als Bio" und wie es noch beworben wird. Aber für eine unerklärliche Engstirnigkeit würzen wir es mit Schwermetallen ganz vermeidbarer Art.

Beamte raten nur Kindern, Schwangeren und Frauen mit Kinderwunsch vom Verzehr von mit Bleimunition geschossenem Wild ab.

Kinder und Schwangere werden immer erwähnt, weil jede Aufnahme von Blei bei ihnen erhebliche neurologische Schäden verursacht. Der ganzheitliche Blick auf das Thema geht verloren, wenn wir den Blick auf die Frage verengen, wie gefährlich es ist, eine einzige Wildmahlzeit zu essen. Der Punkt ist, wirklich jede vermeidbare Exposition gegenüber Blei zu vermeiden. Und das Schöne daran ist, dass dieses Problem für Jäger wunderbar einfach zu lösen ist, denn es gibt genügend gute, bleifreie Munition auf dem Markt. Das Leben ist schon gefährlich genug. Ich muss meine Kinder nicht so leicht vermeidbar einem hochgiftigen Schwermetall aussetzen, ohne mir Sorgen machen zu müssen.

Thomas Krumenacker ist Journalist und Naturfotograf in Berlin. Neben den RiffReportern schreibt er für überregionale Zeitungen und Fachzeitschriften zu wissenschaftlichen Themen.

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